neu:fund:land
digitale storys
neu:fund:land
intro
studio ka/i präsentiert neu:fund:land, ein digital generiertes literaturprojekt:
ein ki-basierter textgenerator interagiert mit zeitgenössischer poesie und erzeugt daraus digitale prosa.
im ersten schritt wird eine englischsprachige text-ki-eingabemaske mit titeln deutschsprachiger lyrikbände des 21. jahrhunderts gefüttert.
ein ki-basiertes übersetzungsprogramm (deepl) erzeugt dann den deutschen text.
der generierte text fungiert im dritten schritt als gerüst, rumpf, baustein, rahmen, struktur, input oder versatzstück für die weitere (menschbasierte) textentwicklung.
studio ka/i baut im vierten schritt (menschbasiert) den text mit klassisch-literarischen verfahren um oder aus, kürzt oder verändert, spitzt zu, treibt den text voran, verstärkt, transformiert, filetiert, verästelt ihn weiter.
auf diese art entstehen hybrid/fluide prosatexte unterschiedlichster inhalte, tonalitäten und bildhaftigkeiten.
in einem weiteren schritt werden die einzelnen texte mit/von einer text-zu-bild-ki illustriert.
studio ka/i präsentiert im rahmen des projekts neu:fund:land dreizehn dieser texte.
neu:fund:land ist die erste sammlung elektronischer storys & illustrationen des studio ka/i berlin.
inhalt
1 tausendtag
2 im inneren rand
3 jennys
4 snow manor
5 timeguard
6 studio nightcast
7 prophezeiung
8 verschachtelung
9 message
10 ringstrahl
11 lieblingsstück
12 augenwaelder
13 neu:fund:land
1
tausendtag
julia boethner und christian von heisefeld hatten mit tausendtag einen verdeckten planeten ausgewählt, der sich gerade zwischen den lunaten und der sonne befand.
„es gibt einfach keine gute übersetzung aus dem interplanetarischen, nichts wirklich griffiges. deshalb nannten wir ihn tausendtag, weil wir tausend tage auf ihn gewartet haben“, so boethner.
„wir wissen jetzt, dass es kein sperrmüllgehäuse ist, sondern ein echter planet“, ergänzt von heisefeld.
„wir haben schon spezielle astronauten losgeschickt. sie werden am sonntag gegen 19 uhr mez tausendtag erreichen.“ boethner wirkt zufrieden.
„erforscht!", erklärt boethner und macht klar, wie es mit den planeten laufen kann. die planeten hätten immer zeit, sich irgendwann zu zeigen. man wolle vielleicht mit tausendtag auch noch eine interplanetare luftraum-kraftstelle errichten. „das macht dann auch ganz schöne laune und staubwolken, die wie die sonne wärmen“, so boethner.
„hier ist wieder die wahre welt gefragt", sagt von heisefeld. er zeigt auf das modell, das vor ihm auf dem tisch steht.
„sehen sie, tausendtag ist entlang der sonne wie eine interplanetare lunette angeordnet. es gibt für uns noch viel zu tun. das hier erinnert mich an ein fahrradrennen mit speziellen astronauten, die irgendwann ins ziel stürzen. die ganze arbeit, der ganze weg dorthin ist schon vorgezeichnet. tausendtag hat das potential, einmal ein meilenstein der astrophysik zu werden.“
„ich träume jede nacht von neuen planeten“, sagt boethner leicht verträumt, „manchmal sogar mit offenen augen.“
boethner und von heisefeld nennen sich planetenbauer. in ihrer praxis kommt ein sonnenwerfer zum einsatz, der nach einem längeren prozess die planeten liefert. auf details angesprochen, halten sich die beiden bedeckt.
„alles hat in einer garage in london angefangen“, verrät boethner.
„mittlerweile haben wir alle planeten ausgeforscht und den mars umgesetzt. der planet b-9 wurde von uns entdeckt, ferner die offenen sonnen in europäischen kopfhörersystemen, der rosafarbene planet fleischerkueche und auch sissi, der planet der neuen sperrstation skylab.
„stellen sie sich vor: im vergangenen jahr habe ich über 100 planeten aufgelistet", sagt christian von heisefeld.
„nach ihnen hat sein sohn marius einen hochgeschwindigkeitsjetztler entwickelt. er hat dafür viermal auf der neuen planetenkarte gehalten und dann erklärt, welche planeten zu interplanetarischen wegesystemen gehören und welche weit oben oder längs abgeschnitten sind“, erzählt boethner.
„wir haben neuen planeten, die bei den lunaten über das sonnenlicht gezogen sind, schon seit 2027 das leben geschenkt“, erklärt von heisefeld weiter.
und die geldgeber?
„easy, easy“, sagt boethner und lehnt sich entspannt zurück. „die liebsten geldgeber für unseren planetenbau sind uns die leute von beyond quantum. das ist ein kalifornisches biotechnologieunternehmen. die haben sogar peggy wilson an bord, die 2031 die mars-rundfahrt der nasa geleitet hat.“
„und auch mein sohn marius schießt dann und wann kapital bei uns rein. er ist mittlerweile ceo der interplanetarischen pilotenschule mit sitz in washington. dort gibt es dutzende klubs, die dank meines sohnes und seiner lobbyfreunde unserer planetenfirma sehr zugetan sind. und auch die astronautenszene sieht uns als zuverlässige kollegen. es läuft also wirklich gut für uns.“
„es erstaunt also nicht, dass marius zu jedem sich bietenden anlass erzählt, dass er aus einer planetenbauerfamilie stammt und schon jetzt über ansehnliche unternehmensanteile und sehr viel einschlägiges know-how verfügt“, so boethner.
und sonst so?
„zeitgleich wurde auf dem letzten planeten-treffen mit einer halben million menschen ein film über die vorgängergeschichte der astronauten gedreht. die regisseurin simone marais hat exzellente arbeit geleistet und sich in weiten teilen von der literarischen vorlage outer space des jungen belgischen autors joost van de velde gelöst. wirklich gelungen“, berichtet von heisefeld.
„es war uns wichtig, dass die astronauten in outer space mit und in der sonne leben“, berichtet boethner. „die astronauten sollten einen weit fortgeschrittenen intensiv-status erreicht haben, sodass sie unter der sonne und sogar in den armen der sonne überleben können“, ergänzt von heisefeld.
„viele wissen, dass das ein wirkliches problem ist. aber wir hatten ja im film eine astronautische massenaufstellung“, erklärt boehtner, „ und mussten erstmal vermitteln, dass es sich gar nicht um einen so starren planeten handelt, sondern um eine vollständig im ozean gelegene interplanetare , die wir eigens für den film in den sonnenraum sprengten.“
„marius amüsiert sich immer, wenn ich ihm das erzähle. „das ist deine erntenatur, dad“, sagt er dann immer. und ich glaube, er hat recht.“
2
im inneren rand
„kann ich mitspielen?", fragt jeff.
„jetzt noch nicht", antwortet tonia, „es gibt noch eine menge leute wie du, die ausgebildet werden müssen."
„aber ..." jeff steht plötzlich auf, „es sind noch einige stunden, bis unser flieger geht. kann ich zurückgehen und mich in ein zimmer am äußeren rand setzen?"
„nein. ich will dich nicht im außenrand haben. noch nicht. wir sind gerade dabei, einige dinge zu ändern. der äußere rand ist nicht teil der beautyfarm selbst. er ist nur ein raum, der größtenteils leer ist, aber er bietet natürlich sehr viel privatsphäre“, sagt tonia.
„oh", sagt jeff, „ich verstehe. ich kann irgendwann mal dorthin gehen und es überprüfen“, sagt jeff.
„ach, lass mal. du brauchst hier überhaupt nichts zu überprüfen.“
„wird es auf der schönheitsfarm einen ort geben, wo ich schlafen kann?“
„ja“, sagt tonia, „es gibt durchaus einen ort, wo du schlafen kannst."
jeff dreht sich um und wischt sich die tränen aus dem gesicht. dann sitzen sie auch schon im flugzeug. sie starten in die abenddämmerung. der himmel ist glutrot. jeff dreht sich noch weiter richtung fenster und wischt sich die tränen aus dem gesicht.
es ist schon sehr spät, als sie am außenrand landen. jeff rennt hinunter zur schönheitsfarm. schließlich setzt er sich in einen sessel gegenüber der tür und redet mit den leuten, die in die halle kommen. jeff sitzt bis weit nach mitternacht dort.
die schönheitsfarm selbst ist sehr schön. sie hat ein paar felder und ist nicht nur schönheits- und vergnügungsfarm. es gibt felder mit kräutern, blumen und früchten. es gibt mehrere reihen berge, die in stufen gemeißelt und nach größe geordnet sind, und zwischen den unteren stufen erheben sich weitere berge. außerdem gibt es unzählige brücken, die von einem berggipfel zum anderen - und dann weiter zu anderen bergen und gipfeln führen. und jeff entdeckt sogar einige felder mit kleinen vulkanen.
jeff fühlt sich auf der schönheitsfarm sehr wohl. er ist so glücklich wie seit monaten nicht mehr – inmitten all der wunderbaren und wundersamen beautyfarm-schönheiten.
aber nur weil es in diesem einen teil der schönheitsfarm schön ist, heißt das nicht, dass es überall schönheit und freude gibt. auf der beautyfarm gibt es nämlich eine vielzahl von unschönen dingen, über die aber nur ungern bis gar nicht gesprochen wird.
jeff aber fühlt sich wunderbar.
die leute von der schönheitsfarm kommen herein und nehmen ihn mit. tonia ist auch dabei. sie sagt etwas in seiner muttersprache zu ihm.
„ich verstehe", sagt jeff.
tonia nickt. „wir denken, dass du heute abend mit dem training fertig bist, sodass du bald zu deiner schönheitsfarm gehen kannst."
„oh. okay", sagt jeff, „ ihr wollt also, dass ich zu einer schönheitsfarm am rande der schönheitsfarm gehe?"
„nein. zu einer am äußersten rand, jeff“, entgegnet tonia.
jeff ist verwirrt. er fragt: „aber ich bin jetzt im inneren rand. richtig?"
tonia nickt. „ja, dafür wurdest du ausgebildet."
„was?"
„nun, du wurdest dafür ausgebildet, dich um die früchte und das gemüse zu kümmern - und um die schönheit, die beautyfarm und das beautyfarm-land", sagt tonia.
jeff lacht. „das beautyfarm-land?"
„genau. und du wirst auf diesem ganzen teil der beautyfarm arbeiten. das ist auch ein teil deiner ausbildung, aber nicht die ganze ausbildung."
jeff sieht verwirrt aus. „du meinst, ich kann nicht eine schönheitsfarm im äußeren rand haben und mich um all das kümmern, und dann eine schönheitsfarm im inneren rand haben?"
„nein. das können nur die leute, die dafür ausgebildet sind. im inneren rand geht es nur um schönheit und vergnügen", sagt tonia.
"hm. wie ist das möglich?"
„nun, jeff", sagt tonia, „im äußeren rand gibt es ein bisschen schönheit, aber meistens ist er leer. die landwirtschaft ist harte arbeit. von zeit zu zeit musst du mit deinem beautyfarm-truck durch die rauen und felsigen gegenden fahren. und dann findet man manchmal tote dinge. sie sind wirklich tot. früher haben sie die farmen als bauernhöfe genutzt. aber sie haben nicht mehr so viel angebaut wie früher. und jetzt sind die farmen nur noch zum vergnügen da. das sind unsere beautyfarmen. ok, jeff? und das ist eigentlich auch schon alles.“
3
jennys
am nächsten tag kam don zu mir und sagte:
„du hast ricks rede gestern abend wohl völlig in den falschen hals gekriegt. bist du deshalb so schlecht auf uns zu sprechen, oder willst du eine jenny sein?"
„es war doch genau umgekehrt: ihr habt mich nicht verstanden, don. und nein, ich will keine jenny sein“, entgegnete ich.
don lachte.
„du musst nichts tun, was du nicht tun willst. genau darum ging es ja in ricks rede. was willst du also tun?"
„ich will eine jenny sein", antwortete ich, „ich bin ungetrübt. und jetzt kann ich es.“
„warum sprecht ihr ungetrübten jennys eigentlich nie über andere?"
„ja, warum tun wir das eigentlich nicht?" fragte ich.
„weil du eine jenny bist", rief don.
ich überlegte.
„also nochmal: warum sprecht ihr ungetrübten jennys nicht über andere?", schrie don.
„ja, warum eigentlich nicht?" brüllte ich.
„weil du eine jenny bist", brüllte er zurück.
ich war kurz davor, ihm ins gesicht zu schlagen.
„es ist ganz einfach, don: jennys können nicht über andere sprechen. würdest du also bitte augenblicklich mit deinem gequatsche über die jennys aufhören!"
„oh, oh, jennys welt ist erschüttert." don lachte.
„was für ein blödsinn. du verstehst gar nichts. in der welt der jennys existierst du nicht einmal. niemand existiert. es gibt nur die jennys.“
später saßen wir alle auf dem balkon. ich hielt meine erste rede als ungetrübte jenny. als ich fertig war, wollten alle mit mir anstoßen. ich fühlte mich richtig gut und war sehr erleichtert. don fröstelte. als ich später nach hause ging, fühlte ich plötzlich gar nichts mehr. aber immerhin war meine rede als jenny ungetrübt gewesen. und ich fühlte mich sehr leicht, während ich sie hielt, leicht wie eine feder. so kam ich wenigstens vom balkon herunter.
4
snow manor
schnee starrte noch einen moment auf die seite, bevor sie das buch zuklappte und ihre schlafsachen zusammensuchte. sie ging die treppe hinauf.
„alice?"
„hmm?"
alice machte sich an der waschmaschine zu schaffen.
„geht es dir gut?"
„ja, ich dachte nur, ich trainiere noch ein bisschen."
schnee grinste und klopfte ihr auf die schulter.
„schlafen, schlafen!", säuselte schnee.
„hey, was quatscht du denn da? es ist gerade mal elf.“ alice klang genervt.
schnee rollte mit den augen.
„lass das!“, fauchte alice.
„oh mein gott, alice, immer bist du wach. immer. und immer arbeitest du. das ist gruselig. deshalb sei so gut und hör auf mich: schlafen, schlafen!“, sagte schnee.
„hör auf damit. ich werde dir einfach nicht weiter zuhören. kapiert, schnee? ich werde einfach über etwas anderes reden. habe ich dir schon von unserem ausflug erzählt?", fragte alice.
„was ist mit unserem ausflug? erzähl schon! oh, schnee ist schon ganz aufgeregt!"
schnee holte ihr handy aus der tasche und schrieb alice eine nachricht.
„trotzdem: schlafen, schlafen!“, las alice und zielte mit dem handy auf schnee.
„nun sag schon, was ist mit dem ausflug?“ schnee klang aufgeregt.
„oh, hey süße, wir fahren hoch zu den schnees! nur du und ich."
„das klingt toll. ich hatte eigentlich vor, mit belle hochzufahren und meine frau und ihre frauen auf snow manor zu besuchen. aber dann machen wir das jetzt."
„das klingt wunderbar! okay, dann schreibe ich ihnen. --- hör mal, ich muss dich noch etwas fragen: möchtest du auch ins spa gehen?"
„oh, das wäre ganz wunderbar, alice! bitte reserviere das für uns."
schnee konnte es kaum erwarten, zu den schnees zu fahren.
„hör mal, schnee, die schnees haben eben geschrieben. auf snow manor wird morgen soviel los sein, da wird es eng mit dem spa."
„das ist schade. aber vielleicht könnten sie mir dort stattdessen die nägel machen, oder irgendetwas anderes."
„ich kümmere mich darum, schneelazy!"
„oh, ich bin so glücklich, alice.“
5
timeguard
„meine güte, das ist wirklich wieder eine lustige zeit hier bei euch.“
„was ist das für ein komisches geräusch?“
„sie umzingeln die zeit. sie sind von timeguard.“
[zeit vergeht. mindestens 30 minuten, vielleicht 40 minuten, vielleicht mehr]
[pieptöne ertönen im hintergrund, telefone klingeln]
[es kommen immer mehr anrufe rein. wir warten darauf, mit den anrufer:innen verbunden zu werden und erfahren, dass alle anrufe von der gleichen nummer stammen]
„hallo? ich rufe aus norwegen an. arbeiten sie mit der polizei zusammen?“
[als ob wir jemals mit der polizei zusammengearbeitet hätten]
„hören sie, wir arbeiten mit keiner polizei oder der polizei generell zusammen. wir arbeiten vielleicht mit anderen zusammen, aber ich kann ihnen dazu momentan noch nichts sagen. sobald wir das bestätigen können, werden wir mit jedem reden, mit dem wir reden wollen]
[das telefon klingelt wieder, und wir können am anderen ende etwas hören]
[wir hören ein wort]
„timeguard?“
„ja. arbeiten sie mit jemand von timeguard zusammen?“
„wir arbeiten mit der polizei.“
„und wie lange arbeiten wir schon zusammen?“
„warum geben sie jetzt vor, polizistin zu sein?“
„haben sie mit jemand anderem kommuniziert?“
„haben nicht wir miteinander kommuniziert?“
„meine güte, das ist wirklich eine lustige zeit hier bei euch.“
„ich kann nicht glauben, dass wir schon mittendrin sind.“
„es ist wirklich seltsam.“
„lassen sie mich es ein wenig genauer erklären: unsere arbeitsbedingungen erlauben es uns nicht, lange mit jemandem in kontakt zu bleiben. unsere arbeitsbedingungen sind uns sehr wichtig, und wir halten uns bedeckt und treten nur mit leuten in kontakt, die die nötigen mittel haben, um mit uns zu kommunizieren. und wir wollen ganz sicher nicht mit leuten kommunizieren, die aus dem einen oder anderen grund sensible oder vertrauliche informationen wollen. und mit der polizei wollen wir schon gar nicht kommunizieren. unsere arbeitsbedingungen erlauben uns das nicht.“
„haben sie schon mit jemand von timeguard kommuniziert?“
„unsere arbeitsbedingungen erlauben uns das nicht.“
„worüber wollten die leute von timeguard mit ihnen sprechen?“
„hören sie, wir haben in der tat mit jemand von timeguard kommuniziert, aber ich kann mit ihnen darüber nicht sprechen. wir können darüber reden, wenn timeguard selbst oder jemand, der für sie arbeitet, anwesend ist.
„aber sehe ich nicht wie jemand von timeguard aus?“
„worüber wollen sie sprechen?“
„sagen sie, haben wir mit jemand von timeguard kommuniziert?“
„ihre arbeitsbedingungen würden ihnen das sicherlich erlauben.“
„und ihre?“
„gewiss nicht. nein.“
„ich frage sie nochmal: haben wir mit jemand von timeguard kommuniziert?“
„ihre arbeitsbedingungen erlauben ihnen das auf jeden fall.“
[pieptöne ertönen im hintergrund, telefone beginnen zu klingeln]
„nun gehen sie schon ran.“
„es ist timeguard. und sie will mit mir über timeguard sprechen.“
6
studio nightcast
vor ein paar tagen hatte ich die gelegenheit, adrienne roberts zu unserer fünfzigsten folge von studio nightcast einzuladen, um mit ihr über ihre drei aktuellen filme zu sprechen. und das gleich vorweg: alle drei haben extreme überlänge. ich sage das alles, um folgendes zu sagen: the show will go on, adrienne! du bist eine tolle schauspielerin, aber bei deiner größe (2,23 m!) kannst du unmöglich auf allen zeitschriftencovern landen. also: nicht ärgern!
ich bin wirklich ein großer fan von adrienne. und seitdem ich moderatorin bin, habe ich mir immer gewünscht, sie einmal in meiner sendung zu haben. ich glaube auch, dass adrienne wahrscheinlich mehr tiefe und realismus in unser zwanzigminütiges gespräch bringen wird, als alle anderen studiogäste zuvor (sorry, leute, dass ich das so sage).
ich überlasse es den kreativen, wie adriennes fotos auf den covern der magazine aussehen werden (ich werde so oder so geflasht sein), aber im moment denke ich, dass das interview, das ich mit ihr im studio führen werde, besser sein wird – besser als jedes foto. adrienne hat in den letzten zwei jahren mehr gearbeitet als die meisten schauspieler:innen während ihrer gesamten karriere. hoffen wir, dass sie die anerkennung bekommt, die sie verdient.
und hey, übrigens: glücklicherweise bin ich nicht die einzige, die fotos von adrienne gesehen hat. und ich weiß, dass auch andere fotos von ihr gepostet haben – auch privates. deshalb bin ich mir fast sicher, dass es adrienne wirklich gibt.
7
prophezeiung
„verstehst du jetzt?", fragte die gestalt, die zu dem jungen sprach und versuchte, ihm die bedeutung des wortes zu erklären. aber das arme kind hatte weder die definition des wortes verstanden, noch war es mit der sprache vertraut.
„wenn du uns vielleicht erklären könntest, was es für dich bedeutet, dann könnten wir verstehen, was du uns sagen willst“, sagte die gestalt.
aber der junge war sichtlich verwirrt und auch verängstigt, und er war sich plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob er überhaupt irgendeine sprache dieser welt verstand.
„prophezeiung auf!", rief er schließlich. er hatte seinen ganzen mut zusammen genommen.
„ah!" die prophezeiung brach in gelächter aus, „du denkst also, das wort ist dasselbe wie prophezeiung. nein, nein. die bedeutung von prophezeiung ist die vorhersage von ereignissen, die kommen werden, versteht du?"
„ich nehme es an, ja", sagte der junge, ohne zu wissen, ob das stimmte oder nicht - oder ob es überhaupt das war, wovon die prophezeiung sprach.
„und jetzt verstehst du die bedeutung der prophezeiung", sagte die prophezeiung zu dem jungen und lächelte breit.
„ich denke schon", sagte der junge, weil er befürchtete, dass er es vielleicht nicht tat, „aber ich bin immer noch verwirrt."
„damit bist du nicht allein", sagte die gestalt und setzte sich neben den jungen.
„es gibt keine prophezeiung, die nicht für irgendwen in einer enttäuschung endet."
die prophezeiung rutschte auf ihrem sessel herum, und der junge sah sich die gestalt jetzt genauer an, um herauszufinden, ob sie log - aber alles, was er erkennen konnte, war eine vage silhouette.
„es wird ja so viel prophezeit", sagte die prophezeiung, „aber meistens geht es dabei ja gar nicht um die prophezeiung selbst, sondern um die hoffnung, sich dadurch selbst zu erhöhen oder sich einfach nur interessant zu machen. aber diese ansinnen sind natürlich allesamt zum scheitern verurteilt."
der junge war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.
„böse!", flüsterte er wütend, „denken und glauben und eitel sein - aber nicht wirklich glauben, richtig?"
„das ist die natur unserer irrtümer", sagte die prophezeiung, sah dem jungen in die augen und nickte, „du verstehst meine sprache, nicht wahr?"
der junge nickte und sah der prophezeiung seinerseits tief in die augen, spürte die dunkelheit darin, die verwirrung, aber auch das dunkle verständnis der wahrheit, der wahren wahrheit hinter den worten, die sie sprach.
„ich denke schon", sagte der junge und zog in den augen der prophezeiung den schleier der dunkelheit und der finsternis beiseite, sodass sich für einen moment die wahrheit zeigte, „es ist nicht alles lüge", sagte der junge.
„woher willst du das wissen?", lachte die prophezeiung. und plötzlich war sie sich selbst gar nicht mehr sicher.
8
verschachtelung
die verlegerin thea nonnenberg verstand es beim ein-erlebnis-talk sehr schnell, die überspielung auf fernsehformate für sich zu nutzen: sie schaltete sich selbst unübersehbar ins hintertreffen und stellte sich stattdessen als einleuchtendes portrait einer verlorenen nation in den vordergrund. sie proklamierte jede weitere verwandlung als unheilig, obwohl sie als verlegerin in der vergangenheit immer von veränderungen profitiert hatte. die messlatte lag hoch. es ging um verschrottungen, beleidigungen, verschwörungen und unruhen, um wenig, um etwas, um alles, ja sogar um gott. und sie würde versuchen, all dem gerecht zu werden.
ihr entschluss, ihren eigenen einschluss in die kollektivität vor einem großen fernsehpublikum zu demonstrieren, war ungewöhnlich. es war so ungewöhnlich wie der ein-erlebnis-talk selbst. wenn sie so zurückdachte, gab es vorboten dieser idee, zentrale schlaginstrumente verbaler und physischer art – sie jedoch hatte sich nie unterkriegen lassen. man musste sich nur selbst am liebsten zuhören und jeden schritt auf das große ziel hin wie auf einer göttertreppe feiern. die anderen wollten geführt werden – insbesondere die, die meinten, immer zu kurz gekommen zu sein. oder gar nicht.
nonnenberg setzte auf den versuch, dem volk, der nation ein versprechen zu geben. es war das versprechen, den weg der verschachtelung einzuschlagen, gemeinsam von verschachtelung zu verschachtelung zu gehen, mit ganzer kraft die gesetze gegen die verschachtelung abzuwehren und das versprechen und das bekenntnis zur verschachtelung immer weiter zu stärken.
„die ganze verschachtelungsdebatte wird eines tages enden – nämlich genau dann, wenn alles verschachtelt ist“, so nonnenberg, „und sollten wir der verschachtelung nicht gerecht werden, so muss man einfach auch mal lauter werden, denn es wird hier verschachtelt, was verschachtelt gehört.“
9
message
flugblaetter, flugblaetter, flugblaetter flugblaetter flugblaetter, flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flugblaetter flug
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10
ringstrahl
gegen ende seines besuchs hat es doch noch zu etwas gereicht: peter schiebt seinen schritt in die schranken, nachdem er vom begleitungsleiter achim ringstrahl mehrmals verwarnt wurde. damit sind ihm alle weiteren spiele versagt, und seine sonst dauerbegeisterten freunde weisen seinen vom zaun gebrochenen streit in die dafür vorgesehenen schranken.
„ihnen läuft ihr geschlecht über“, sagt ringstrahl zu peter, „in schöner regelmäßigkeit sterben nämlich jene, die in männerkreisen über das ziel hinausschießen“, so ringstrahl weiter.
„regelmäßig sterben alljene, die den akt verpassen“, kontert peter.
„sie befinden sich in einer abwärtsspirale, mein lieber peter. ich erwarte sie im ausbildungszimmer. es ist nämlich immer so, dass menschen wie sie unter der last aufgehübschter menschen an ihre grenzen stoßen. das hier ist ein ausbildungshaus, peter, dessen persönlichen sinn ich sie nochmals zu überdenken bitte. unser traum von der geschlechtsleere wird im nachbargemeindehaus, dem sie entstammen, womöglich ganz anders gelebt.“
wenn man hier so herumläuft, so trifft man auf ein riesiges ensemble mitunter gegensätzlichster vorstellungen. ringstrahl selbst lässt sich regelmäßig von klaus und boris umringen, die seit dem faschingsfest das gefühl haben, es hier ganz besonders gut angetroffen zu haben. und mit ihren händen üben sie kenntnisreich einen ringsumdruck auf ringstrahl aus, ein druck, der eigentlich hinter die haut gehört und alles in und an ringstrahl wachrüttelt. „mehr, mehr!“, ruft er, „weist mir den ringstrahl in seine schranken. dafür seid ihr da.”
das erste bier mit ringstrahl ist zu stark. es hält peter auf dem bett. er nimmt eine nase weißen pulvers aus der rascheldose, die auf dem hölzernen nachttisch steht. dann liegt er schon hinter dem bett, zieht sich auf ringstrahl um, schmückt ihn mit einer handgeschlagenen schleife und verspricht, ihn um ein zweites begegnungsgeschenk zu bitten.
„der ringsumdruck, der eigentlich hinter die haut gehört, ist vermutlich jener große schnupfen, der das ende der geschlechter besiegeln wird“, sagt ringstrahl.
klaus und boris liegen im raum nebenan. sie sehen aus wie geschlachtet. und wie in einer traumkabine hängen sie uns dazu – mich und ringstrahl gemeinsam an einen ring. sie füllen uns ab mit ganz viel schönem und der dunkelheit. und ringstrahl beginnt zu wandern. klaus und boris verschwinden - wahrscheinlich aus angst, es könnte etwas schiefgehen.
ringstrahl vermengt die stadt mit dem land, das brüchige rot mit dem weiß. und die herrengasse mit ihren trompetenbäumen wird zur mittleren etage des schlossgartens. sie ist die tanzflucht des untergangs, auf der sich die menschen jetzt bewegen. man könnte das hier alles räumen lassen – die dunklen jahre, das ewige mittelfeld, die schwingenden häuser. man könnte. aber man ahnt, dass sich irgendetwas seinen weg bahnt durch die herrengasse und auch sie schließlich anstecken wird mit dem ganz großen schnupfen.
11
lieblingsstück
der song war mit unglaublich schlechten tönen durchsetzt, die sich in meine ohren bohrten und mich schließlich zwangen, die stereoanlage auszuschalten. als meine ohren dann irgendwann aufhörten zu klingeln, schaltete ich die anlage wieder an, ging in die garage und holte ein paar weitere cds aus der schachtel. dann sah ich luke vor seinem haus stehen und winkte. er winkte zurück und lachte. an seinem grinsen konnte ich erkennen, dass er sich über die songs amüsierte. ich hatte die stereoanlage so laut aufgedreht, dass er die musik bis zur anderen straßenseite hören konnte, und ich wusste, dass er nachher mit marco jeden einzelnen song auseinandernehmen würde.
als ich mich umdrehte, um wieder ins haus zu gehen, erschrak ich mich über lukes stimme.
„mach das aus, nel!", rief er.
ich ging zurück in die garage und nahm noch eine cd aus der schachtel.
luke wartete auf mich, und wir gingen ins haus. er machte es sich auf der couch bequem.
„hier“, sagte ich zu ihm, „die möchte ich dir schenken."
„oh danke, nel. ich werde später mal reinhören."
ich lächelte, nahm den frisch gewaschenen bezug vom wäscheständer und stopfte ein kissen hinein. luke hatte den fernseher eingeschaltet und schaute irgendein sportprogramm. ständig pfiff jemand. als ich mit den kissen fertig war, ging ich zurück in die garage und kramte die nähmaschine hervor. dann setzte ich mich zu luke aufs sofa und nähte mir ein kissen, das ich unter den sessel legte. luke schaute jetzt einen film, in dem auch gerade jemand nähte. „er sieht aus wie du“, sagte er. ich nickte. plötzlich sehnte ich mich nach musik in meinem haus. „wie wäre es mit dem soundtrack zu the avengers?“, fragte mich luke, als hätte er gerade meinen gedanken gelesen.
„den kenne ich nicht“, erwiderte ich, „aber wir können ihn uns gerne anhören, wenn du willst."
luke schüttelte den kopf und lachte.
„ich kann einfach nicht glauben, dass du noch nie von dieser musik gehört hast. die ist so cool."
„weißt du, ich liebe musik, aber ich mag keine soundtracks.“
„und was hast du heute abend noch so vor?"
„das weiß ich noch nicht. vielleicht bleibe ich einfach zu hause oder gehe auswärts essen. aber zuerst muss ich noch etwas arbeiten."
„okay.“
ich runzelte die stirn. luke runzelte ebenfalls die stirn, und ich konnte sehen, dass er verwirrt war.
„ich bin überrascht, dass du nicht weißt, was mir diese arbeit hier bedeutet.“
„so war das doch gar nicht gemeint“, entgegnete luke.
„ich habe einfach nicht die zeit, hier herumzusitzen und filme zu schauen.“
luke schaltete den fernseher aus.
„weißt du, meine mutter und ich haben früher einen haufen kilts genäht – aus original schottischen stoffen."
„ihr habt die wirklich gemacht?" lukes stimme klang überrascht.
„ja."
„wirklich?“
„ja, verdammt.“
„das ist großartig, nel."
„meine mutter hat mir das beigebracht. sie machte ständig kilts zum verschenken. alle haben jetzt einen. und deshalb muss ich mir schleunigst etwas neues ausdenken.“
12
augenwaelder
als sie die halle erreicht hatten, setzte sich augenwaelder zu den anderen und bot ihnen etwas zu trinken an. es gab mate und irgendwas mit kombucha. ein schmächtiger hipstertyp mit schnäuzer und goldener brille kam auf ihn zu, die pistole noch in der hand. augenwaelder erkannte ihn sofort. er war es, der vorhin den ersten schuss abgefeuert hatte. augenwaelder stand auf und redete ganz ruhig mit dem mann.
„ich möchte nur wissen, warum sie geschossen haben“, sagte er.
„hören sie, ich werde dazu gar nichts sagen", antwortete der mann, „außer dass sie und ihre leute nicht in unsere stadt hätten kommen sollen."
augenwaelder glaubte ihm nicht.
„sie sind hierher gekommen, um zu töten, nicht wahr?" er hielt einen moment inne und fragte dann weiter: „möchten sie mich erschießen?"
augenwaelder stellte sich an die wand und schloss die augen. der hipstertyp schrie und rannte davon.
augenwaelders leben war schon immer voller zwischenfälle gewesen: einmal wurde er in seiner geburtsstadt wien von betrunkenen männern durch die straßen gejagt, und sein vater, ein ehemaliger kölner bürgermeister, brach noch am selben tag in tränen aus, nachdem er eines überfalls unter alkoholeinfluss beschuldigt worden war.
ein anderes mal goss ihm ein stadtbekannter sänger milch ins gesicht, als er sich im stadtgarten die rosen ansah. augenwaelder überlegte nicht lange und verpasste dem sänger eine dornenkrone.
und nie würde er vergessen, wie er vor vielen jahren in klagenfurt ein echtes erdbeben erlebte. er und seine jüngere schwester annie bahnten sich in panik einen weg durch die straßen, bis sie schließlich ein telefon fanden.
„ich habe es kommen gespürt", rief augenwaelders schwester in den hörer, „aber ich habe mich nicht getraut, nachzusehen."
er verzieh ihr. sie war doch seine jüngere schwester und hatte wohl noch zu lernen, wo bei einem erdbeben hinzuschauen war.
13
neu:fund:land
dies war wohl die art von land, die man fand, wenn das suchen es einem zeigen wollte.
sie lagen auf einer hell erleuchteten straße, umgeben von schmutz und schutt.
seltsam, dachte sie, das ist ganz anders als der strand, an dem wir gestern angekommen sind.
sie nannte das neue land grak. sie hatte diesen namen gefunden, indem sie das wort karg rückwärts dachte. und tatsächlich gab es hier überhaupt nichts grünes, keine häuser und auch keine menschen.
„dort drüben, peaches."
ihre mutter zog sie hoch und ging mit ihr auf ein riesiges loch zu.
„halt dich fest."
peaches sagte kein wort.
mit der einen hand umgriff sie die leiter, mit der anderen hielt sie die hand ihrer mutter fest. unten angekommen, lauschte sie dem poltern und ächzen des metalls, das ihre mutter sammelte und dann hochgeschleppte. alles war mit einer dicken staubschicht bedeckt. es war unmöglich zu sagen, ob es alt oder neu war. peaches sah sich um. sie hatte die orientierung verloren. ihre mutter hingegen schaute nur in eine richtung.
„komm, lass uns zum fluss gehen“, sagte ihre mutter, „ich werde uns aus dem metall eine brücke bauen.“
„ist es weit bis zum fluss?“, wollte peaches wissen.
ihre mutter überlegte einen moment. und dann lächelte sie – zum ersten mal, seitdem sie hier waren.
„der fluss ist da, wenn du ihn denkst.“